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"Trösten mit Maske - das geht gar nicht!"

Arbeiten in der Kinder- und Jugendhilfe in der Corona-Pandemie

12. Februar 2021, Kinder- & Jugendhilfe

"Trösten mit Maske - das geht gar nicht!"

7 Uhr morgens, der Wecker klingt in der Wohngruppe.

Die Jugendlichen müssen nicht zur Schule, seit fast einem Jahr ist die Schule immer wieder phasenweise und seit dem letzten Lockdown dauerhaft geschlossen. Homeschooling stehen auf dem Stundenplan.

In der Wohngruppe leben bis zu 9 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren. Sie besuchen normalerweise Kitas, Grundschulen und verschiedene weiterführende Schulen.

Jeremy, 15 Jahre alt: „Am Anfang fand ich das schon ganz okay – so ohne Schule. Aber ich vermisse jetzt echt meine Freunde!“ Vormittags sind in den Wohngruppen der Jugendhilfeeinrichtungen die Mitarbeitenden gefordert: sie müssen Lernen gestalten und Wissensvermittlung schaffen. Für die Pädagogen ist das eine ungewohnte Situation. Wolfram Jungblut, Bereichsleiter in der Kinder-und Jugendhilfe im St. Johannisstift: “Das ist eine neue Herausforderung. Normalerweise sind unsere Mitarbeitenden vormittags gar nicht im Haus. Jetzt müssen Sie ihre Arbeit neu organisieren und mit ihren Familien abstimmen.“ Der andere Unterricht läuft mittlerweile routiniert ab und Kinder, die unter Schulangst leiden, profitieren sogar von der besonderen Situation.

14 Uhr mittags: mit hängendem Kopf sitzt Janina auf dem Sofa, ein zerknülltes Taschentuch in der Hand.

„Begleitung und Betreuung verlangt eine Nähe – auch körperlich. Trösten und eine Maske über dem Gesicht – das passt nicht zusammen. Für die Pädagogen ist das ein Dilemma: Ich will bei Dir sein – aber ich will Dich auch schützen“, so Jungblut. Das Thema Schutzausrüstung ist ohnehin sensibel: die Mitarbeitenden der stationären Erziehungshilfe fühlen sich von der Politik vergessen: es gibt weder einen Schutzschirm, für die Schutzausrüstung müssen die Einrichtungen selbst aufkommen ebenso wie für die Schnell-Tests, bei priorisierten Impfungen wurden Mitarbeitende aus KiTas berücksichtigt, nicht aber die in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe.

18 Uhr abends – Kinder und Jugendliche müssen in der Wohngruppe bleiben.

Dass die Kinder und Jugendlichen ihre Freunde in der Freizeit nicht treffen und sich mit ihnen austauschen können, ist schon eine Einschränkung. Besonders schwer ist die Situation in Quarantäne auszuhalten – für alle Beteiligten eine Kraftprobe.  In einer Wohngruppe führte die Quarantänesituation dazu, dass Pädagogen eingezogen sind und 4 Tage und Nächte bei den Kindern und Jugendlichen gelebt haben. Christoph Lampe ist Geschäftsführer der Kinder- und Jugendhilfe des St. Johannisstift: „Das ist tolle Teamarbeit! Wir sind stolz darauf, wie unsere Mitarbeitenden auch in so herausfordernden Zeiten ihren Job mehr als gut gemacht haben! Sie sind da über ihre Grenzen hinausgewachsen – auch über die der Arbeitszeit.“

Umso wichtiger ist eine gesellschaftliche Anerkennung und der Schutz der Mitarbeitenden in der Kinder– und Jugendhilfe. Sie wünschen sich mehr Sicherheit für ihre Arbeit, Wertschätzung durch Schutzmaßnahmen wie Masken, Coronatests und eine frühzeitige Impfung. Deshalb ist die Fachkräftekampagne #dauerhaft systemrelevant als Petition an den Landtag entstanden. „Unterstützen Sie unsere Mitarbeitenden. Das haben sie mehr als verdient! Wir freuen uns, dass mit der Verordnung vom 8. Februar die Mitarbeitenden der Kinder- und Jugendhilfe in die dritte Impfpriorität eingestuft wurden“ – so Christoph Lampe.